Touchpoints

100 Jahre werden wir schon nicht schlafen, dachte ich. Doch die Dornenhecke steht noch. Zum Glück sind dahinter alle wach. Und Dornröschen gönnt sich Pizza.

von Katharina Raab

25. Januar 2022

Da bin ich wieder. Zurück am alten Platz mit neuen Gefühlen. Zurück in einem neuen Arbeitsleben, ein alter Hase, der sich fühlt wie Bambi auf dem Eis zwischen Kolleg:innen, denen man die nun bald zwei Jahre Pandemie anmerkt. Im besten Sinne. Alles neu hier und eben doch Routine. An alten Sehnsüchten ändert das nichts. Fragen wir uns doch alle: Wie ging noch mal banal?

Es ist kein Freitag wie jeder andere. Wir essen Pizza bei offenen Fenstern. Nicht jeder traut sich an den Tisch, alle essen mit Abstand, manche im Stehen. Andere winken nur kurz und nehmen sich ein Stück mit an den Schreibtisch. Aber wir essen Pizza. Gemeinsam. Wir lachen. Gemeinsam. Und starren verstohlen auf unsere unmaskierten Münder. Ganze Kolleg:innen mit ganzen Gesichtern.

Ganz ehrlich? Es ist ein verdammt komisches Gefühl. Es liegt nicht an den Gesichtern, die sind toll wie eh und je. Doch wir haben uns von den kleinen und feinen Banalitäten des Alltags entfremdet. Sind ungeschickt geworden im Umgang mit dem einst Selbstverständlichen. In unseren Augen glimmt der Fatalismus mit dem Leichtsinn um die Wette. Doch wir bleiben und mampfen und lachen. Ist ja nur Pizza, oder? Ein bisschen Teambuilding, ein bisschen Mittagspause, ein bisschen Gemeinschaft. Denn ja, wir vermissen das.

Wir haben uns von den kleinen und feinen Banalitäten des Alltags entfremdet. Sind ungeschickt geworden im Umgang mit dem einst Selbstverständlichen.

Wir haben das Glück, in einem Team zu arbeiten, das selbstverständlich geimpft und geboostert ist. Das eine Maske aufsetzt, sobald es den eigenen Arbeitsplatz verlässt. Das Rücksicht nimmt, sich die Hände desinfiziert, mit Halsweh zu Hause bleibt. Wir sind uns einig in unserer Bubble. Über sowas müssen wir nicht diskutieren. Wir treffen uns bei Teams, obwohl wir Tür an Tür sitzen. Und wollen eben trotzdem wieder wenigstens Tür an Tür sitzen. Wir wollen uns sehen. Live und direkt vor der blubbernden Kaffeemaschine. Wir wollen merken, wie es dem anderen geht. Kurz in der Bürotür stehen und nicht nur auf dem Bildschirm erscheinen. Keine Frage, das neue Normal ist längst Alltag. Wir sind es gewohnt, unsere Ideen digital und mobil auszuarbeiten. Projekte gelingen, auch wenn wir nicht alle am selben Platz sind, Homeoffice hat Sonnenseiten. Wir sind verbunden. So oder so. Und doch…

Wir vermissen dieses Gruppending. Wir sind Herdentiere. Zumindest wollen wir das wieder sein. Ohne Angst und Hintergedanken. Eines schönen Tages, wenn wir uns hinter unseren Dornenhecken hervortrauen und Abstand vom Abstand gewinnen. Dazu braucht es keinen Prinzen, geschweige denn ein Schwert. Ein bisschen Vorstellungskraft genügt – ein bisschen Werkzeug auch. Wir haben es uns hinter der Hecke schön gemacht, buchstäblich Raum geschaffen für Nähe. Touchpoints für die Welt danach.

Es ist ein fast schon poetisches Bild: Dort, wo das Desinfektionsmittel aus dem dazugehörigen Spender im Eingangsbereich ein Loch in den Teppich geätzt hat, begrüßen uns jetzt auch immer Blumen. Nie war die Agentur gemütlicher. Die Distanz hat uns heimeliger gemacht. Unser Gemeinschaftsraum hat sich in ein Wohnzimmer verwandelt, in dem man mehr denn je verweilen will. Um zu essen, zu quatschen, um zusammen zu sein. Ein geduldiges Museum für die Geselligkeit von dann, irgendwann. Mit Büchern, in denen man blättern kann. Mit gerahmten Bildern, die echten Staub fangen und gut gelaunte Blicke. Mit Blumen, die duften und verblühen. Alles herrlich analog. Alles wartet darauf, dass hier wieder Leben passiert. Bis es so weit ist, träumen wir ein bisschen, wagen ab und an Gemeinschaft auf dem Balkon, essen Pizza mit Abstand und hören zusammen Musik.

Denn es kann dieser Tage schon mal passieren, dass man morgens zu einer beschwingten Melodie in der Agentur einläuft, die durch alle Räume und Gänge fließt und zum Mitwippen animiert. „Don’t worry, be happy“. Da wartet so viel Leben hinter den Hecken unserer Angst. Wir können es kaum erwarten, es hinaus zu lassen.

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