Was ich in diesen Tagen am meisten vermisse? Die Menschen, die ich liebe, mit denen ich mir aber leider keinen Haushalt teile, keine Lebenspartnerschaft führe und die zu weit weg wohnen, als dass ich mich mit ihnen mal eben zu einem Spaziergang auf Distanz verabreden könnte. Den Bodensee, meine Heimat, die ich gerne noch einmal ganz entspannt vor der Geburt meiner Tochter besucht hätte. Das Lächeln meiner Mama, wenn sie von ihrem ersten Enkelkind einen ordentlichen Tritt durch meine Kugelbauch zu spüren bekommt. Bekommt sie nicht. Wegen Corona.
Ich will nicht jammern. Entbehrungen dieser Art und so viel Schlimmeres müssen wir gerade alle verkraften. Doch es sind eben genau diese kleinen Dinge, die uns abgehen und deren Abwesenheit plötzlich sehr laut und präsent ist.
So wie die Abwesenheit meiner Kollegen. Ich vermisse das „Morgens-in-die-Agentur-Kommen“. Die Ruhe vor dem Sturm. Das Morgenlicht, das es dank der verglasten Wände durch den Gemeinschaftsraum in den Flur schafft und dort herrliche Muster zeichnet. Das fast schon ritualisierte „Rechner-Hochfahren“, das „In-den-Chor-des-geschäftigen-Geklappers-der-anderen Ankömmlinge-Einstimmen“. Die Traubenbildung an der Kaffeemaschine. Die heimliche Frage: Welche Farbe wird meine Tasse heute haben: grün, babyblau, gelb oder orange? Oder doch rot oder königsblau? Diese Tassen gibt es jeweils nur einmal in unserem Küchenschrank. Und auf sie habe ich es meistens abgesehen. Warum? Weil an königsblauen Tagen immer erfreuliche Dinge passieren.
Ein-, zweimal bin ich seit dem Shutdown, der die meisten von uns nach Hause in die Isolation und vor die Webcam katapultiert hat, noch in der Agentur gewesen. Ich habe angefangen, meinen Schreibtisch zu räumen, ein paar Kisten gepackt. Ein paar vereinzelten Kollegen auf leeren Fluren aus der Ferne zugewinkt. Ich habe gespürt, wie sehr diesen Räumen die Gemeinschaft fehlt. Und mir das Geräusch des Druckers. Die Schritte auf dem Flur, mal geschäftig, mal schlurfend, mal angespannt. Über die Jahre habe ich das Schritte-Erkennen perfektioniert. Ich weiß immer, wer da kommt oder mit dem Skateboard vorbeirollt.
Fabis Skateboard schlummert gerade in einem der sonst kreativsten Zimmer der Agentur. Ein kleiner Kaktus in Johannes‘ Büro hält recht ironisch eine goldene Fahne hoch. Monas Panda-Kalender habe ich vorsorglich auf April vorgespult. Vielleicht blättert jemand bald auf Mai um? Die roten Stühle im Konferenzsaal tragen gerade niemanden, vielleicht finden sie das zur Abwechslung sogar ganz gut … In unserem großen Screen spiegeln sich nur die Fenster, und vermutlich immer donnerstags Johannes, wenn er uns live aus dem Konferenzsaal einmal mehr unsere Ungelenkigkeit in einer seiner Online-Yoga-Sessions vorführt. Ich weiß, wir sind nicht verloren gegangen, wir sind nur woanders. Wir sehen uns jeden Tag. Wir hören unsere Kunden. Wir sind da, auch füreinander. Wir arbeiten viel und hart.
Und trotzdem ist es seltsam, euch nicht persönlich auf Wiedersehen sagen zu können. Ich hätte euch was gekocht. Vielleicht sogar Spaghetti – zur Abwechslung mal al dente und nicht verklumpt. Ich hätte mindestens eine Runde Sekt geschmissen, auch den guten Alkoholfreien. Und sicher hätte ich ein paar Tränen vergossen, während ich noch mal auf euch angestoßen hätte. Auf all das, was wir zusammen geschafft haben. Und auf all das, was ihr in nächster Zeit noch ohne mich schaffen werdet. Wegen Corona geht das nicht. Wegen Corona müssen wir das verschieben. Wegen Corona ist das kein Abschied.
Die Tränen werden trotzdem kullern. Und natürlich sehen wir uns wieder. Der Oktober-Panda in Monas Kalender sieht ziemlich zuversichtlich aus. Bis dahin, bleibt gesund. Bleibt zusammen. Ich freue mich auf euch!