Mehr als eine Randnotiz

Mit Prof. Dr. Thomas Friedrich werden auch Disziplinen wie Design philosophisch. Im MCS.1 decodierte er die „Sprache des Designs“ schön eigenwillig und ließ uns erkennen: Glücklich nennen darf sich jeder, der einen Bleistift zur Hand hat und genügend Platz für Notizen am Seitenrand… Eine Nachklappe zu unserer Veranstaltung „Wirklichkeit und Design“.

von Fabian Birke

4. Oktober 2019

Prof. Dr. Thomas Friedrich wäre wohl nicht Philosoph geworden, wenn er nicht gerne die Dinge „von Grund auf“ erklären wollte. Denn, um überhaupt über Ästhetik reden zu können, um herauszufinden, was „gutes“ Design ist, so macht er uns schnell klar, müssten erst gewisse Begrifflichkeiten und ihre Differenzierung geklärt werden. Begrifflichkeiten, die er für die an diesem Abend folgende Diskussion ausgiebig ausrollte. Unser Rüstzeug im Design-Diskurs: die Unterscheidung von Produktions- und Rezeptionsästhetik. Also: Was hat sich der Designer bei seinem Objekt gedacht? Und: Wie gebraucht der Nutzer dieses Objekt letztlich?

Zugegeben, das sind erst einmal mächtige Begriffe, die einen unversehens in einen der Hörsäle an der Mannheimer Hochschule versetzen. Friedrich, Professor für Philosophie und Designtheorie, versteht es zu dozieren, aber eben auch zu unterhalten. Da machte es nichts, dass die Sprache des Designs an diesem Abend eher eine Fremdsprache bleiben würde. Stattdessen also: Philosophie und Designtheorie. Lebensnah und bereichernd vermittelt. Denn die Sprache der Designtheorie, ist eine fesselnde, die einem auch das mit der Mono- und Plurifunktionalität von Design ganz leicht vermittelt: „Eine Studentenbude, in der ein einzelner Raum viele Funktionen erfüllt, ist ein typisches Beispiel für plurifunktionales Design“, erläutert Dr. Thomas Friedrich. Eine monofunktionale Raumgestaltung fände sich in einem alten englischen Herrenhaus, in dem alle Zimmer jeweils einer einzelnen Funktion zugeordnet waren: ein Schlafzimmer, ein davon getrenntes Ankleidezimmer, ein Rauchzimmer, ein Salon für Empfänge, ein Speisesaal, aber auch ein Frühstückszimmer.

Zu den eindrücklichen Lektionen an diesem Abend, gehört auch eine über den modernen Städtebau. Im 20. Jahrhundert hat der französisch-schweizerische Architekt Le Corbusier die räumliche Trennung im Gebäude nach dem monofunktionalen Ansatz auf die Städteplanung übertragen. Wohnung, Arbeit, Verkehr und Erholung sollten getrennt voneinander sein. Dieses Prinzip wurde in der Nachkriegszeit in vielen Städten in Deutschland realisiert. Innenstädte wurden auf ihre Einkaufsfunktion reduziert, es entstanden riesige Wohnsiedlungen am Stadtrand, Erholungsgebiete sollten einen Ausgleich schaffen. Die Verkehrsadern verbanden alles miteinander. Die amerikanische Autorin Jane Jakobs kritisierte diese künstlich angelegten Strukturen und setzte sich für mehr Diversität in der Stadt und den Stadtteilen ein. Also für eine plurifunktionale Stadtplanung.

Ist nun Plurifunktionlität immer die bessere Wahl? „Bei der Entscheidung zwischen Monofunktionalismus oder Plurifunktionalismus gibt es kein Richtig oder Falsch“, klärt Friedrich auf. Vielmehr muss der Designer im Einzelfall entscheiden. Und plötzlich wandelt sich der philosophische Vortrag in einen theologischen. Die Frage nach „schönem“ Design sei eigentlich eine Glaubensfrage, schmunzelt Friedrich. Genauer: ob es der Designer protestantisch oder katholisch hält. Versucht man sich typisches protestantisches Design vorzustellen, hat man sofort die eher puristischen Altarräume einer evangelischen Kirche von heute vor Augen. Ganz klar: monofunktional. Den Prunk der katholischen Kirchen übersetzt Friedrich in einen plurifunktionalen Design-Ansatz.

„Aus einer guten Form an sich wird eine gute Form für mich“

Nicht immer ist etwas eindeutig mono- oder plurifunktional einzuordnen. Und so gibt Friedrich unverhohlen zu, dass er ein vom Designer eher plurifunktional beziehungsweise katholisch encodiertes Gerät wie den Computer mit all seinen multimedialen Funktionen eher protestantisch nutze. An diesem also recht monofunktional einfach seine Arbeit verrichte. Ja, nicht immer entspricht der Nutzen, den der Designer für sein gestaltetes Objekt vorgesehen hat, auch dem, den sich der Nutzer im Gebrauch erschließt. „Aus einer ‚guten Form an sich‘ wird eine ‚gute Form für mich’“, erklärt Friedrich. Indem ich also einen Gegenstand gebrauche oder verbrauche, indem ich ihn konsumiere, eigne ich ihn mir an. Eine gemietete Wohnung wird mit der Zeit zu „meiner“ Wohnung. Und die sieht mit Sicherheit völlig anders aus, als die desjenigen, der sie vorher bewohnt hat.

Diese Aneignungsäthektik ist Friedrichs Steckenpferd. Wird ein Objekt gebraucht, unterzieht es sich einem Transformationsprozess, der Spuren hinterlässt. Und dieser ist immer etwas Besonderes. Nur durch den Gebrauch und der daraus resultierenden Aneignung wird aus Massenware ein nicht austauschbares Objekt. Ein Buch mit persönlichen Notizen, zum Beispiel, von welchen Friedrich, der, wie er uns verrät, gerne im Leseprozess seine Gedanken festhält, viele besitzt. „Je schwieriger ein Buch ist, um so mehr Rand brauche ich“, stellt er schmunzelnd fest.

Wäre Friedrichs Vortrag ein Buch, der Gestalter der Seiten hätte darin viel Platz für Rand anlegen müssen – für Anmerkungen, Unterstreichungen und persönliche Notizen. Es müsste aus sehr griffigem Papier bestehen, damit es bei all dem hektischen Vor- und Zurückblättern nicht zerfleddert. Es würde nach dem Gebrauch nur so strotzen vor Frage-, aber auch Ausrufezeichen. Außerdem prangten viele freundliche Smileys auf den Seiten. Und ja, man hätte es, egal ob man nun in einem monofunktionalen Schlafzimmer oder in einer plurifunktionalen Studentenbude schlummert, samt Taschenlampe mit ins Bett genommen, weil man vor dem Schlafengehen noch ein bisschen darin hätte schmökern und all den gesponnenen Gedanken hätte nachhängen wollen.

Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Friedrich!

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