Ein Büro am frühen Abend, draußen bewölktes Blau, drinnen der konzentrierte Blick einer Historikerin auf einen Screen, auf dem ein freundlicher älterer Herr in einem Bibliothekszimmer zu sehen ist. Er spricht in die Kamera. Aus dem Kopfhörer ist leise zu hören: „Also wissen Sie, wir waren in den 1970ern Weltmarktführer, ganz klar, wir …“ Pause. Das Bild friert ein: Der Zeitzeuge blickt ernst und überzeugt. Vor der Historikerin liegt ein leicht abgegriffenes Schriftstück, mit Schreibmaschine getippt. „November 1977“, steht in der Ecke rechts oben. In dem Dokument geht es um Urlaubsanträge und die Notwendigkeit, jetzt wertvolle Zeit ins Vorankommen zu investieren. Die Begründung: „Wir sind heute weltweit – bestenfalls! – die Nummer drei.“ Der Autor: eingefroren auf dem Screen. Die Betrachterin hebt die Augenbraue.
Ein Journalist in der S-Bahn auf dem Weg zur Pressekonferenz in der Unternehmenszentrale. Auf dem Smartphone wischt er schnell durch die Website des Unternehmens hin zur Sektion „Historie“. Neben Jahreszahlen findet er Bilder von Herren in Anzügen und in schwarz-weiß, dazwischen ein paar Werksaufnahmen und Luftbilder. Gründung 1909, erste Erfolge im Ausland in den 1920er-Jahren und 60 Köpfen im Unternehmen kurz vor der Weltwirtschaftskrise. 1945 Neustart mit 130 Mitarbeitenden. Der Journalist macht ein Memo an sich selbst: Zwischen 1933 und 1945 war man scheinbar im Urlaub. Der Artikel schreibt sich von allein.
Während der Historiker fragt, was sich überhaupt sicher über vergangene Ereignisse und Entwicklungen sagen lässt, fragt die Kommunikatorin, ob und wie man dies weitertragen soll, kann und darf.
Die beiden Szenen sind exemplarisch, aber realistisch. Beide vereint zunächst eines: offene Fragen. Einmal, weil zwei sich widersprechende Aussagen vorliegen, das andere Mal, weil zu etwas gar keine Stellung bezogen wird. Beide Szenen berühren handwerkliche Fragen von Historikerinnen und Kommunikatoren, wenn auch in jeweils anderen Akzenten. Während der Historiker fragt, was sich eigentlich überhaupt sicher über vergangene Ereignisse und Entwicklungen sagen lässt, fragt die Kommunikatorin, ob und wie man dies jeweils weitertragen soll, kann und darf.
Das Handwerk von Historikerinnen und Historikern ist die Rekonstruktion der Vergangenheit. Sie identifizieren Quellen in Archiven, alten Zeitungen, vergessenen Server-Backups oder der „WayBackMachine“ des Internets, wägen ab, befragen Zeitzeugen. Daraus ergibt sich ein facettenreiches, selten widerspruchsfreies und meistens fragmentarisches Bild. Es geht darum, Nachprüfbarkeit von Aussagen herzustellen, bestehende Narrative kritisch und auf Basis von historischem Material zu hinterfragen, ein Bewusstsein für die wissenschaftlich gut erfasste Fehlbarkeit menschlicher Erinnerung zu haben, wie Szene 1 zeigt. Die häufige Viel-, Mehr- und Uneindeutigkeit auszuhalten, öffnet einen unverstellten oder zumindest unverstellteren Zugang zu Geschichte. So entsteht ein komplexes Bild, das im Zweifelsfall – etwa bei Schattenseiten der eigenen Geschichte vom Umweltskandal bis zur NS-Zeit – auch einer kritischen Diskussion standhält, denn es lässt Nachprüfbarkeit zu und trägt zur Versachlichung bei. Deshalb haben nicht wir, nicht der Auftraggeber, sondern immer die Quellen das letzte Wort. Was kann man wozu überhaupt sagen? Was nicht? Und für Kommunikatorinnen und Kommunikatoren wiederum wichtig: Wo liegen Chancen und Risiken in der Kommunikation der eigenen Geschichte?
Wer wegsieht, wird nicht handlungsfähig. Bild KI-generiert.
Nachprüfbarkeit schafft Sicherheit, Transparenz und Klarheit. Das betrifft die Verifizierung und Einordnung von Highlights, Meilensteinen und großen Erzählungen ebenso wie Tiefpunkte und Kapitel, die einem heutigen Werturteil zuwider sind. Denn es gibt vielleicht viele Erfolgsgeschichten, aber keine Geschichte lässt sich auf Erfolge und Fortschritt reduzieren, wenn sie ehrlich erzählt ist. Gerade deshalb muss man genau hinsehen, Klarheit in der Sache schaffen.
Darum: Mut zur Entdeckung! So wird man nachhaltig handlungs- und aussagefähig. Das reicht von der Verifizierung einzelner Sachverhalte für die Kommunikation hin zu komplexen Gutachten zur Unternehmensgeschichte, die sich um Fragen wie die Internationalisierung und vergangene Akquisitionsstrategien drehen können, aber eben auch die Rolle in der NS-Zeit oder in der DDR. Dazu brauchen Historikerinnen und Historiker uneingeschränkten Quellenzugang, denn nur so lassen sich belastbare Ergebnisse erzielen, die sich mit ruhigem Gewissen kommunizieren lassen. Den muss man manchmal erst schaffen, sollte es noch kein Archiv im Haus geben. Und dafür braucht es Menschen mit Erfahrung und Qualifikation. Sowohl aufseiten der Historiker und Archivare als auch der Kommunikatoren, denn Komplexität zu kommunizieren ist, nun ja, komplex.
Doch lange bevor überhaupt ein Historiker oder eine Historikerin auf den Plan tritt, geht es um eine viel grundlegendere Frage: jene der Wahrhaftigkeit, mit der eine Organisation sich selbst gegenübertritt. Ganz gleich, ob es um vergangenes Unglück oder vergangenes Unrecht geht. Niemand kann, erst recht nicht Jahrzehnte später, das Geschehene ungeschehen machen. Das erwartet auch niemand, auch nicht der Journalist aus der zweiten Szene.
Was aber erwartet wird, ist der Wille zum Hinsehen und Verstehen statt des Wegsehens oder Verklärens. Bekenntnis und Haltung. Sieht man sich die Kritik an missglückter Kommunikation zur eigenen Geschichte an, dann geht es meistens darum, dass ohne Not beschönigt oder geschwiegen wird. Umgekehrt zeigt sich, dass Unternehmenswerte und Verantwortung durch Haltung und Klarheit glaubhaft untermauert werden. History Ownership ist gewissermaßen gelebte Corporate Social und Cultural Responsibility. Das sehen Mitarbeitende, das lokale Umfeld und auch die breitere mediale Öffentlichkeit. Haltung wird honoriert. Der Rest ist eine Frage des guten Handwerks. Und dieses kann aus Geschichte ein regelrechtes Fest machen.
Dieser Text stammt aus unserem Lookbook „celebrating history“.