Based on a fake salmon

Entflohene Zuchtlachse sind eine Bedrohung für die genetische Vielfalt in freier Wildbahn. Ähnliche Tendenzen gibt es bei Fake News und künstlichen Narrativen im World Wide Web. Auf die verführerischen Zuchtlachse und die einfach erzählten Storys sollten wir uns aber nicht einlassen.

von Ralf Birke

8. September 2025

Zuchtlachs und Fake Storys haben einige Gemeinsamkeiten.

In Nordnorwegen sind 27.000 Zuchtlachse auf der Flucht. Sie sind dem Fischereiunternehmen Mowi bei Dyrøy im Februar 2025 entwischt, weil ein Sturm ein Loch in das Netz der Zuchtanlage im Nordatlantik gerissen hat. Die norwegische Fischereibehörde verspricht eine Belohnung in Höhe von 500 norwegischen Kronen (etwa 43 Euro) pro Lachs all jenen, die einen der Flüchtlinge fangen und in einem speziellen „Annahmezentrum“ abgeben.

Der kulinarisch geschätzte Strahlenflosser mischt sich in seiner Zuchtform nun fröhlich unter seine salmonidischen Ahnen. „27.000 gezüchtete Lachse auf der Flucht, das ist ein Desaster für den Wildlachs“, sagte Pål Mugaas, Sprecher der Schutzorganisation Norske Lakseelver, dem Guardian. „Die Wissenschaft hat bewiesen, dass eine Kreuzung zwischen Wild- und Zuchtlachs Nachkommen hervorbringt, die langfristig eine geringe Überlebensrate in der Natur haben.“ Die genetische Vielfalt nehme ab, die Fische würden anfälliger für Parasiten.

Die Ausgebüxten unterscheiden sich aber äußerlich mit ihren 5,5 Kilogramm Lebendgewicht nicht wirklich von ihren in freier Wildbahn schwimmenden Artgenossen. Wie soll man da den Richtigen erwischen?

Was der geflohene Lachs mit Kommunikation zu tun hat

Das Installieren heute in der Kommunikation so beliebter „Narrative“ hat mit dem Lieblingsfisch der Deutschen viele Parallelen. In ihrer über Generationen hinweg gepflegten Wildform sind Storys schlicht eingängige, am Lagerfeuer und als Gute-Nacht-Geschichte erzählte Überlieferungen, die unsere Sozialisation der letzten Jahrhunderte maßgeblich mitbestimmt haben. Wir erklären uns das Dasein in Geschichten. Darauf hat sich unser Gehirn eingestellt und funktioniert dank seit der Steinzeit stetig weiterentwickelter Synapsen einwandfrei.

Storyzüchter haben dies längst erkannt. In ihren Zuchtanlagen halten sie spezielle Arten, die sich besonders gut in unser limbisches System fräsen. Inzwischen gibt es riesige digitale Ökosysteme, in denen die Zuchterfolge längst Wahrheit, Realität und Faktizität entwachsen sind und sich unkontrolliert vermehren. Löcher im Netz der Meinungsverbreitung werden nicht mehr gestopft. Die Gatekeeper freier Wertegemeinschaften werden selbst zur Zielscheibe. Gezüchtete Botschaften dürfen sich ungehindert verbreiten. Aus Evolution wird Manipulation, die stets irgendjemandem oder irgendeiner Sache dient. „Dem Netz“ entrinnen kaum wieder einzufangende Ergüsse, die sich auch in Trainingsprogrammen von KIs breit machen.

Fluch und Segen für Lachsliebhaber

Fluch und Segen der digitalen Kommunikation ist, dass Narrative pfeilscharf funktionieren. Längst ist aus der Renaissance des Storytellings der Einsatz von strategisch gezüchteten Erzählungen geworden. Ein Segen, weil Unternehmen schnell und präzise durch Storys ihre Ziele erreichen können. Ein Fluch, weil die Mechanik dieses Vorgangs inzwischen so weit perfektioniert ist, dass man kein Urenkel der Gebrüder Grimm sein muss, um sie anzuwenden. Das Ergebnis: Fake News oder Deep Fakes, denen man mit Faktenchecks versucht beizukommen. Das wirkt oftmals hilflos. Gegen verbreitete Narrative – früher gab es mal den Begriff der „Urban Legends“ – ist kaum ein Kraut gewachsen.

Aufrichtigkeit und Glaubwürdigkeit

Wir sind Storyteller. Also übernehmen wir auch sehr gern die Entwicklung eines Narrativs. Neu ist, dass wir unsere Auftraggeber ermutigen, vor allem die langfristige Wirkweise der Erzählung im Auge zu behalten. Und sich immer der Verantwortung bewusst zu sein, was passiert, wenn einer dieser gezüchteten Pfeile auf seine natürlich gewachsenen trifft. Bei ihrer Anwendung haben vor allem Kommunikatoren, die sich an Werten orientieren, einen Trumpf in der Hand: verifizierter Content auf den eigenen Kanälen. Wer sich dazu entschließt, das Spiel der Wahrheitsdehnung nicht mitzuspielen, sondern für Glaubwürdigkeit eintritt und mit Aufrichtigkeit wirbt, umgibt sein Unternehmen und/oder seine Marke mit einer Hornhaut des Respekts und einem nachhaltig wirksamen Teint der Begehrlichkeit.

Wir wollen nicht am falschen Lagerfeuer sitzen

Klar, man will und muss zuverlässig Business machen. Aber in Zeiten automatisch generierter Inhalte ist es sinnvoll, sich zu hinterfragen. Machen wir uns genug Gedanken, wem es hilft? Dient es dem langfristigen Erfolg? Hält es der Prüfung gesellschaftlicher Aufrichtigkeit stand?

Jeder Kommunikationsprofi wird dafür bezahlt, dass die Geschichten seines Kunden weitererzählt werden. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Kommunikationsziele unserer Kunden mit faktenbasierten, authentischen Storys zu erreichen. Wir wollen uns nicht dem gern Erzählten hingeben oder von fragwürdigen Quellen abschreiben – nur um die sprichwörtliche halbe Wahrheit zu erzählen und uns beruhigt in der trügerischen Sicherheit zurücklehnen: Gelogen haben wir nicht.

Ein hoher Anspruch, der uns längst in Fleisch und Blut übergegangen ist. Denn wir wollen nicht am falschen Lagerfeuer sitzen. Oder, um wieder auf den Fisch zu kommen: Wir mögen den wilden Lachs. Und wer partout nicht auf Zuchtlachs verzichten kann, möge ihn mit dem Bewusstsein verzehren: Er ist gezüchtet.

Nachtrag:
Ganz offensichtlich ist es vollkommen aussichtslos, auch nur einen Bruchteil der entkommenen 27.000 Lachse dingfest zu machen. Dem kurzen Aufschrei über die gelungene Flucht folgten ein paar augenzwinkernde Berichte („43 Euro für einen Lachs!“) und Hinweise auf die ökologische Dimension. Das war’s. Wenige Monate nach dem Loch im Netz ziehen die modifizierten Salmons unbeobachtet und seelenruhig ihre Bahnen, vermehren sich naturgemäß – und schon sickern völlig ungehindert fragwürdige Erbinformationen von Lagerfeuer zu Lagerfeuer.